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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 12.03.2009
Aktenzeichen: 13 A 1573/08
Rechtsgebiete: AMG
Vorschriften:
AMG § 105 | |
AMG § 109a |
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Nachzulassung für das fiktiv zugelassene Arzneimittel "G.(r) Halsschmerztabletten", das zur Linderung von Symptomen bei infektiösen und entzündlichen Prozessen im Mund-, Hals- und Rachenraum dienen soll. Nach Ergehen des Versagungsbescheids durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erhob die Klägerin Klage und beantragte Neubescheidung. Das VG wies die Klage ab: Einer Verlängerung der (fiktiven) Zulassung stehe entgegen, dass die Klägerin der im Mängelschreiben des BfArM gerügten unzureichenden Begründung der therapeutischen Wirksamkeit der arzneilich wirksamen Bestandteile für die beanspruchten Anwendungsgebiete innerhalb der angemessenen Frist zur Mängelbeseitigung nicht abgeholfen habe. Den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück.
Gründe:
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Das VG hat zutreffend angenommen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf erneute Entscheidung über ihren Nachzulassungsantrag für das Arzneimittel "G.(r) Halsschmerztabletten" habe. Einer Verlängerung der (fiktiven) Zulassung stehe entgegen, dass die Klägerin der in dem Mängelschreiben des BfArM vom 30.9.2003 gerügten unzureichenden Begründung der therapeutischen Wirksamkeit der arzneilich wirksamen Bestandteile Lysozym und Cetylpyridiniumchlorid für die beanspruchten Anwendungsgebiete innerhalb der angemessenen Frist zur Mängelbeseitigung nicht abgeholfen habe. Die dagegen erhobenen Einwände der Klägerin vermögen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht aufzuzeigen.
Das VG hat § 22 Abs. 3 Satz Nr. 1 AMG nicht fehlerhaft ausgelegt und angewendet.
Gemäß § 105 Abs. 4a Satz 1, § 22 Abs. 2 AMG sind im Rahmen des Nachzulassungsantrags die Ergebnisse der pharmakologischen und toxikologischen Versuche (Nr. 2) und die Ergebnisse der klinischen Prüfungen oder sonstigen ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Erprobung (Nr. 3) vorzulegen. An Stelle der Ergebnisse nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AMG kann der Antragsteller den Nachweis mit "anderem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial" im Sinne von § 22 Abs. 3 AMG erbringen ("bibliographischer Zulassungsantrag"). Auch Altarzneimitteln können die Erleichterungen des § 22 Abs. 3 AMG zugute kommen (§ 105 Abs. 4a Satz 1 Hs. 2 AMG).
Vgl. BVerwG, Urteile vom 16.10.2008 - 3 C 23.07 und 3 C 24.07 -, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 16.12.2008 - 13 A 2085/07 -, vom 20.01.2009 - 13 A 4306/06 -, vom 24.02.2009 - 13 A 813/08 -, jeweils juris.
An Stelle der Ergebnisse nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AMG kann daher anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt werden, und zwar bei einem Arzneimittel, dessen Wirkstoffe seit mindestens zehn Jahren in der Europäischen Union allgemein medizinisch oder tiermedizinisch verwendet wurden, deren Wirkungen und Nebenwirkungen bekannt und aus dem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial ersichtlich sind (Nr. 1). Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass das Erkenntnismaterial nach Sinn und Zweck der Vorschrift sowie nach Art. 10a Satz 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001 dergestalt beschaffen sein muss, das es in etwa den Ergebnissen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG entspricht.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.5.2007 - 13 A 328/04 -, juris, Beschlüsse vom 16.12.2008 - 13 A 2085/07 - und vom 24.2.2009 - 13 A 813/08 -, a. a. O.
Bei einem Kombinationsarzneimittel ist des Weiteren zu begründen, dass jeder Wirkstoff einen Beitrag zur positiven Beurteilung des Arzneimittels leistet (§ 22 Abs. 3a AMG).
Das VG hat zu Recht das Vorliegen dieser Voraussetzungen verneint. Die Klägerin hat selbst keine Ergebnisse klinischer Wirksamkeitsprüfungen vorgelegt, sondern sich auf anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial i. S. v. § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG berufen. Die anerkannte Wirksamkeit der Wirkstoffe (vgl. Art. 10a der Richtlinie 2001/83/EG) ist nach den dem BfArM vorliegenden Unterlagen nicht gegeben. Insbesondere ist die Negativmonographie für den Wirkstoff Cetylpyridiniumchlorid zu berücksichtigen. Diese vom VG getroffenen Feststellungen hat die Klägerin im Zulassungsverfahren nicht schlüssig in Zweifel gezogen. Zudem könnte die therapeutische Wirksamkeit des Fertigarzneimittels nicht mit Hilfe von anderem Erkenntnismaterial nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse begründet werden (vgl. § 25 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 2 AMG). Das andere Erkenntnismaterial ist nicht dergestalt beschaffen, dass es in etwa den Ergebnissen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG entspricht. Aus diesem Grund ist auch die Kombinationsbegründung für das Fertigarzneimittel nicht hinreichend dargetan. Letztlich räumt dies auch die Klägerin ein. In der mündlichen Verhandlung vor dem VG hat der als "externer Sachverständiger" für die Klägerin auftretende Dr. X. der Auffassung des BfArM, die Wirksamkeit der Kombination sei nicht belegt, allein seine Mutmaßung entgegengesetzt, es sei naheliegend, dass die gemeinsame Gabe zweier antibakteriell wirkender Stoffe zu einer Erhöhung der antibakteriellen Wirkung des Präparats führe. Die Klägerin hatte auch bereits im VG und sodann in der mündlichen Verhandlung auf die Schwierigkeiten der Anfertigung einer entsprechenden Studie hingewiesen und sie sogar in der Stellungnahme des Dr. X1. vom 22.9.2004 als "nicht machbar" bezeichnet. Das VG hat hieran angeknüpft und eine hinreichende Kombinationsbegründung mangels aussagekräftigen Erkenntnismaterials verneint. Diese Schlussfolgerung hat die Klägerin im Zulassungsverfahren nicht substantiiert in Zweifel gezogen.
Soweit die Klägerin rügt, das VG habe fehlerhaft die von ihr hilfsweise begehrte traditionelle Indikation des Arzneimittels nicht anerkannt, führt dieses Vorbringen nicht zur Zulassung der Berufung. Die traditionelle Anwendung eines Arzneimittels macht den erforderlichen Wirksamkeitsnachweis grundsätzlich nicht entbehrlich. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist im regulären Nachzulassungsverfahren des § 105 AMG für einen Traditionsnachweis, der gemäß § 109a AMG ein Unterfall der Nachzulassung ist, kein Raum. Der insoweit bestehende Typenzwang und der Ausschluss von Gestaltungsfreiheit ist weder verfassungsrechtlich noch gemeinschaftsrechtlich zu beanstanden.
§ 109a AMG dient der Beschleunigung des Nachzulassungsverfahrens. Der Gesetzgeber hat für bestimmte schwach wirksame Arzneimittel ein pauschaliertes Prüfverfahren eingerichtet und erleichterte Zulassungsvoraussetzungen bestimmt.
Vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 20.11.2003 - 3 C 29.02 -, NVwZ 2004, 349, 350, und vom 26.4.2007 - 3 C 36.06 -, NVwZ-RR 2007, 774, 775; OVG NRW, Beschluss vom 27.11.2008 - 13 A 2659/06 -, juris, m. w. N.
Insoweit werden über den Traditionsnachweis bei den Arzneimitteln nach § 109a Abs. 1 AMG die Anforderungen an die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit "fingiert"; gerade weil das Arzneimittel "traditionell" unbeanstandet auf dem Markt ist, ist von dessen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auszugehen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6.9.2007 - 13 A 4643/06 -, A&R 2007, 279.
Für den pharmazeutischen Unternehmer hat dies zur Folge, dass er sich nach Einfügung des § 109a Abs. 4 AMG durch das 10. AMG-Änderungsgesetz vom 4.7.2000 (BGBl I S. 1002) entscheiden muss, ob er das normale Zulassungsverfahren nach § 105 AMG oder das Verfahren nach § 109a Abs. 3 AMG unter Inkaufnahme der damit verbundenen Nachteile wie der eingeschränkten Anwendungsgebiete in Anspruch nehmen wollte. Ein nachträglicher Wechsel ist ausgeschlossen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2007 - 3 C 36.06 -, a. a. O.
Mit der Vorschrift des § 109a Abs. 4 AMG sollten die pharmazeutischen Unternehmer angehalten werden klarzustellen, ob sie die Nachzulassung nach § 105 AMG oder nach § 105 i. V. m. § 109a AMG anstreben. Ein etwaiger "Druck", der durch die Vorschrift auf die pharmazeutischen Unternehmer ausgeübt wurde, entspricht der Intention der Vorschrift, den Unternehmer zu einer Klarstellung der angestrebten Nachzulassungsgrundlage anzuhalten.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.8.2007 - 13 A 598/07 -, juris.
Verfassungsrechtlich ist die gesetzgeberische Entscheidung nicht zu beanstanden. Insbesondere liegt ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht vor. Der Gesetzgeber durfte zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung eine Typisierung der Nachzulassung vornehmen und die privilegierte Nachzulassung gemäß § 109a AMG an entsprechende sachliche Voraussetzungen knüpfen und die Zulassung einer traditionellen Indikation im Rahmen einer regulären Nachzulassung ausschließen. Eine ungerechtfertige Ungleichbehandlung liegt hierin nicht.
Zur Grundstruktur des allgemeinen Gleichheitssatzes vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 16.3.2004 - 1 BvR 1778/01; BVerfGE 110, 141, 167 = NVwZ 2004, 597, 602; Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 3 Rn. 14.
Durch diese Fixierung wirkt der Gesetzgeber gestaltend auf das Nachzulassungsverfahren ein und setzt hierbei seine verfassungsgemäße Zielvorstellung durch.
Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf die Registrierung nach §§ 39a ff. AMG, die allein für pflanzliche Arzneimittel gilt, auf gemeinschaftsrechtliche Vorgaben verweist (Kapitel 2a der Richtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001 i. d. F. der Richtlinie 2004/24/EG vom 31.3.2004), ergibt sich kein anderes Ergebnis. Der Richtliniengeber hat ausweislich des Erwägungsgrunds 6 der Richtlinie 2004/24/EG es als angemessen angesehen, den Geltungsbereich der vereinfachten Registrierung zunächst auf traditionelle pflanzliche Arzneimittel zu beschränken, weil die große Mehrzahl der Arzneimittel mit einer ausreichend langen und kohärenten Tradition pflanzlicher Natur ist. Insoweit liegt eine sachlich begründete, aber abschließende Sonderregelung für traditionelle pflanzliche Arzneimittel vor. Aus dem von der Klägerin herangezogenen Konsultationspapier der Generaldirektion der europäischen Kommission vom 14.2.2008 zu der Frage einer möglichen Ausdehnung der Registrierung auf andere Arten von Arzneimitteln ist vorliegend kein rechtlich beachtliches Kriterium abzuleiten, weil eine gesetzgeberische Maßnahme sich bislang im Vorbereitungsstadium befindet.
Ende der Entscheidung
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